IGNORO 2011 geht an Ministerin Puttrich/Hessen

Laudatio für

Frau Lucia Puttrich,
 
Ministerin für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

des Landes Hessen,

anlässlich der Verleihung des IGNORO 2011



Sehr geehrte Frau Puttrich,

das Vertrauen in die Politiker Deutschlands und deren Politik ist gesunken und sinkt weiter. Ein Blick in repräsentative Umfragen und in die Nachrichten bestätigt diesen Eindruck.
Jedem aufgeschlossenen und mündigen Bürger fällt auf, dass fehlender Sachverstand und mangelnde soziale Kompetenz in den Aufgabenbereichen einzelner Politiker eine zentrale Ursachen für diese Entwicklung sind.
Werden sozial- und gesellschaftspolitische Themen, Wirtschaftspolitik, Innen- und Außenpolitik von dieser Entwicklung betroffen, berühren die (Fehl-)Entscheidungen den Bürger direkt. Dieser hat dann die Möglichkeit – rein theoretisch zumindest – seine Stimme zu erheben, für sein Recht zu kämpfen und die Entscheidungen in Frage zu stellen.
IGNORO Puttrich Doch was passiert, wenn fühlende, aber stimmlose Wesen von solchen Entscheidungen betroffen sind?
Die Rede ist von den Tieren, speziell von den Wildtieren, die von Politikern als Störenfriede oder gar als Ware gesehen werden und auf diesem Weg kurzerhand ihre Lebensberechtigung abgesprochen bekommen. Diese Lebewesen haben keine eigene Stimme, können sich nicht gegen Gesetze und den daraus resultierenden Taten wehren, haben nicht einmal eine Chance zur Flucht.
Betrachten wir beispielsweise die heutige Form der Jagd. Jäger dringen, getrieben von dem Spaß an der Jagd und der Lust am Töten in die Lebensbereiche der Wildtiere ein, wollen die sozialen Gefüge und die Vermehrung der Tiere mit der Flinte regulieren, entscheiden willkürlich über Leben und Tod und schlachten unsere Mitlebewesen zum überwiegenden Teil aus pathologischem Destruktionstrieb sinnlos ab.
Sie glauben, unser Ökosystem zurechtschießen zu müssen und wähnen sich in ihrer kruden Gedankenwelt in der Annahme, der Bevölkerung damit einen Gefallen zu tun. Aber sie irren. Erfreuen sich die meisten Menschen doch lieber an einem wunderbaren, lebenden Wildtier in der Natur, als an einem von Jägerkugeln zerfetzten Kadaver.
Und der archaische Gedanke der Jagd, der so gerne angeführt wird, nämlich die Nahrungsmittelbeschaffung, spielt heute eine untergeordnete bis gar keine Rolle mehr. Vielmehr steht die vermeintliche Vernichtung von „Schädlingen“, die Rettung der Landwirtschaft vor „existenzbedrohenden“ Schäden im Vordergrund, um den Tötungstrieb dieser grünen Spezies zu kaschieren und offiziell – auch mit Ihrer persönlichen Unterstützung - zu argumentieren.
Ein Wildtier als Schädling zu betrachten, um es deshalb zu vernichten, ist in unserem Land ein gesetzlich legitimierter, wenn auch barbarischer Akt, eine Schande jedoch für die Verantwortlichen.
Der notwendige Gesetzesrahmen wird von Politikern wie Ihnen, Frau Puttrich, der hessischen Ministerin für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, gesteckt.
Sie, Frau Puttrich, haben im Land Hessen 2011 eine Landesjagdgesetzreform durchgeführt, die als Resultat den Wildtieren das Leben noch schwerer macht.
Was treibt Sie als verantwortliche Ministerin eigentlich dazu, ein lebensverachtendes Gesetzeswerk durchzusetzen, das zudem im Detail jegliche Erkenntnisse der Wildbiologie außer Acht lässt und das Staatsziel Tierschutz mit Füßen tritt?
 
Jeder Bürger kann erkennen, dass sich unsere Demokratie immer mehr in eine Lobbykratie wandelt. Kurzum: Wirtschaftspolitik wird von Großkonzernen bestimmt, ein Jagdgesetz wird in Deutschland von den Jägern gestaltet, um hier nur zwei Beispiele zu nennen.
Wohlwollend könnte man zu Ihrer Position nun sagen, Sie hätten gar keine Chance gehabt, gegen die Interessen der Jagd- und Jäger-Lobby ein fortschrittliches Jagdgesetz zu erlassen. Wenn Sie aber wirklich der Auffassung sind, dass die Jägerschaft  d e r  sachkundige Gesprächspartner in Sachen Wildtierschutz ist, können Sie auch demnächst die Metzgerinnung zum Sachverständigengremium für Tiergesundheit ernennen.

Aber brauchen wir vor diesem Hintergrund Sie überhaupt als Ministerin, als verlängerten Arm der Jägerschaft?
Wollen wir Marionetten und Spielbälle in den einzelnen Fachbreichen als Ministerinnen und Minister haben?
Wir glauben kaum, dass jemand diese Frage mit „Ja“ beantworten möchte. Vielmehr darf jeder Bürger erwarten, dass ein solches Amt mit Sach- und Fachverstand ausgeführt und ausgefüllt wird. Diese Attribute können wir bei Ihnen, Frau Puttrich, leider nur rudimentär erkennen, sehen jedoch deutlich eine gewisse Anbiederung bei der einflussreichen Jägerlobby.
Sie zeigen sich gerne im Rahmen von Jagden, scheinen die Atmosphäre der fragwürdigen Männlichkeit und den Dunst des Blutgeruches zu genießen. Sie haben auch kein Problem damit, bei einer Medienjagd des Hessischen Umweltministeriums selbst zugegen zu sein, bei der Tiere im Schnee bei zweistelligen Minusgraden gehetzt und getrieben werden, was sogar bei der geltenden Gesetzeslage tierschutzwidrig ist. Tierhinrichtungen als gesellschaftliches Ereignis. Sehr geehrte Frau Puttrich, kann man sich moralisch eigentlich noch stärker diskreditieren?
Offensichtlich ist die Gunst dieser Personengruppe, die für Sie ein wichtiger Faktor zu Ihrem persönlichen Machterhalt ist, von großer Bedeutung. Dass ein solches Streben nach Macht und Anerkennung Opfer hinterlässt, nämlich eine blutige „Strecke“ von Wildtieren, die zu Abertausenden in der Kadaverentsorgung landen oder einfach in der Natur liegengelassen werden, verliert dabei für Sie an Bedeutung.
„Das Umfeld eines Menschen prägt sein Handeln“, sagen Sie dazu treffend auf Ihrer Homepage. Eine wohl wahre, aber in einer auf Sie bezogene Interpretation eine erschreckende Erkenntnis.
Schädlingsbekämpfung, Schadensabwehr, Schutz der Bevölkerung – das sind die Schlagworte, mit denen auch Sie ihr Landesjagdgesetz durchgesetzt und verteidigt haben.
In Ihrer Argumentation musste die Forstwirtschaft zur Profitmaximierung vor Verbissschäden durch Rotwild bewahrt, die Landwirtschaft, wie auch die Bevölkerung, vor den marodierenden Wildschweinhorden geschützt werden - Scheinargumente, dumpfe Unwissenheitsrhetorik.
Inzwischen ist jeder ernstzunehmende Wildbiologe der begründeten Auffassung, dass eben genau diese Problematiken erst durch Jagd und Jäger provoziert und verursacht werden. Auch wenn Sie politisch die Fakten ignorieren, bleiben sie dennoch wahr.
Aber wie schon eingangs erwähnt: Sach- und Fachverstand sind offensichtlich nicht die Kriterien, die über eine Eignung für ein solches Amt entscheiden.
Wäre nicht ein Studium der Biologie oder vielleicht der Forstwirtschaft eine geeignetere Grundlage für die Ausübung eines solchen Amtes?
Doch hier sind Sie als hessische Ministerin für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in guter Gesellschaft.
Ihre Kollegin auf Bundesebene, Ministerin Ilse Aigner, hat auf Grund ihres Bildungsweges sicher einige Kenntnisse in Elektrotechnik, wohl aber kaum die fachliche Sachqualifikation, welche ihr Amt auf Bundesebene erfordert, um auch hier wieder nur ein kontextbezogenes Beispiel zu nennen. Wer würde sich schon gerne von jemandem den Blinddarm entfernen lassen, der statt eines Medizinstudiums Politikwissenschaft studiert hat?
Und genau vor dem Dilemma ausufernder chaotischer Verhältnisse in Europa stehen wir, wenn Ministerposten mit Menschen besetzt werden, die sich zwar in ihrer Partei hochgedient und hochgedienert haben, die aber offensichtlich fachlich inkompetent sind und den Anforderungen an komplexe Strukturen in keinster Weise gewachsen sind.
Nun möchten wir zwar niemandem das Vermögen absprechen, sich auch in fachfremde Gebiete einzuarbeiten und sich dazu die nötigen Experten zur Unterstützung an die Seite zu holen. Nur sollte die Auswahl bei der Expertensuche eine feine Nase für jeden Geruch des Lobbyismus voraussetzen.
Auch Sie, Frau Puttrich, haben der guten Form halber im Zuge der Landesjagdgesetzreform einige Experten auf den Plan gerufen und
Umwelt-, Naturschutz- und Tierschutzverbände um Stellungnahme zu dem damals vorliegenden Gesetzesentwurf gebeten.
Die Experten haben Stellung genommen, haben sich für die Position der Tiere eingesetzt, den Stimmlosen eine Stimme gegeben. Dies wurde wohl eine fatale Situation für Sie und Ihren von der CDU und FDP ausgearbeiteten und getragenen Gesetzesentwurf? Hatten Sie etwa nicht damit gerechnet, dass wirklich fundierte Stellungnahmen in der Anhörung landen? Oder wie sollte sonst zu erklären sein, dass der Gesetzesentwurf ohne weitere Aussprachen zu den Stellungnahmen durch den Landtag gepeitscht wurde und ohne die Berücksichtigung der sachkundigen Einwände mit der Mehrheit von CDU und FDP verabschiedet wurde?
Damit wurde nicht nur die Lebensberechtigung der Wildtiere mit Füßen getreten, sondern auch unseren demokratischen Prinzipien ein Schlag in Gesicht versetzt.
Es wurde eine parteipolitische Entscheidung getroffen, eine Entscheidung mit der Mehrheit von zwei Parteien, denen man vieles nachsagen kann, aber nicht, dass sie Vorreiter im Tierschutz sind. Nicht einmal die tierquälerische Fallenjagd wurde eingeschränkt oder der Haustierabschuss verboten.

Sehr geehrte Frau Puttrich, durch Ihr Handeln wurde das Leben und Überleben von Wildtieren in Hessen schwerer. Dadurch haben Sie sich für die Auszeichnung
IGNORO 2011 qualifiziert. Die Reifenspur auf dem Rücken des überrollten Igels soll als Symbol dafür stehen, wie überfahren sich alle Wildtiere im Bundesland Hessen fühlen müssen.
Ihr mangelnder Reformwille und Ihr Kniefall vor der Jägerschaft hat viele hässliche, blutige Spuren in der freien Natur hinterlassen, Sie sind damit in der Liga inkompetenter Politiker bei den Top Ten gelandet. Für Sie mag das ein Erfolg sein, für den Naturschutz ist es ein Desaster.


Deidesheim/Landau, den 16.01.2012

Laudatio und Urkurde als PDF

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